Kürzlich präsentierte die Europäische Kommission (EK) ihre lange angekündigte Initiative zur Fortentwicklung des digitalen Binnenmarktes. Begriffe wie Digitalisierung oder Industrie 4.0 prägen zwar die öffentliche Debatte, spiegeln sich aber nur mangelhaft in einer adäquaten Ausgestaltung der europäischen Rahmenbedingungen wider. Entsprechend groß ist die Furcht, dass Europa bei den zu erwarteten technologischen und ökonomischen Umwälzungen aufgrund der augenfälligen Fragmentierung den Anschluss verliert. Dass die Präsentation der Strategie von der Ankündigung flankiert wurde, die Geschäftspraktiken der großen Onlinehändler (Amazon etc.) kartellrechtlich näher zu beleuchten dürfte also auch kein Zufall sein.
Schwerpunkte:
Im Zentrum der Überlegungen der EK steht die Erschließung immenser digitaler Wachstumspotenziale, wozu zweifellos eine Einigung auf zentrale rechtliche und technische Standards Voraussetzung ist. Mit insgesamt 16 Maßnahmen sollen sehr unterschiedliche Herausforderungen adressiert werden: Insbesondere Verbesserung des Zugangs für Unternehmen und KonsumentInnen, beschleunigter Infrastrukturausbau, Anpassung des Interoperabilitätsrahmen, Abbau steuerlicher Hemmnisse, Cybersecurity, Reform von Datenschutz und Urheberrecht.
Einschätzung:
So ambitioniert die Strategie auf den ersten Blick erscheint, so vage und unbestimmt ist sie bei näherer Betrachtung. Zwar werden entscheidende Herausforderungen skizziert, im Hinblick auf Umsetzung und konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen bleibt aber vieles unbeantwortet. Das kommt nicht von ungefähr: Die Bemühungen der EK in eigenen Stärkefeldern (zB Wettbewerbsrecht) die Schlagzahl zu erhöhen, kann nichts an der fehlenden Einigkeit auf Ebene der Mitgliedstaaten ändern. In diesem Zusammenhang sei nur auf die äußerst schleppende Kompromissfindung der nationalen Regierungen beim Schlüsselthema Datenschutz verwiesen.
Aus Sicht der öffentlichen Wirtschaft bleibt zudem unklar, wie der massive Investitionsbedarf zur Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur gestemmt werden soll. Hier bestünde Potenzial, der wachsenden Bedeutung digitaler Grundversorgung für Wirtschaftsstandort und Bevölkerung auch durch Investitionsanreize Rechnung zu tragen.
Die neue Strategie ist ein wichtiger Anstoß, um Europa in digitaler Hinsicht weiterzuentwickeln. Angesichts der umfassenden Bedeutung des Phänomens Internet, lässt die Reduktion auf den Begriff „digitaler Binnenmarkt“ allerdings einen schalen Nachgeschmack. Denn die gesellschaftliche Dimension (Bildung, Partizipation etc.) dürfte zumindest gleichbedeutend sein, um Europa als Impulsgeber der digitalen Entwicklung zu stärken.