Wird mit Freihandels- und Investitionsabkommen die öffentliche Daseinsvorsorge zur Handelsware?
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, CETA, soll heuer dem Handelsministerrat der EU und dem Europäischen Parlament zur Entscheidung vorgelegt werden. In vorläufiger Anwendung – ohne Zustimmung des österreichischen Parlaments – könnte es allerdings schon bald kommen. Am 14. April standen die Risiken zur Diskussion. ExpertInnen wie Maude Barlow (Council of Canadians, Trägerin des alternativen Nobelpreises) oder Verena Mader (Wirtschaftsuniversität Wien) sprachen im Wiener Rathaus mit VertreterInnen aus Politik, Verwaltung und einem sehr interessierten Publikum. Eine Studie über Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge informiert über umfassende und tiefgreifende Rechtsfolgen. CETA gilt als Blaupause für TTIP.
Studie über Aspekte zur Daseinsvorsorge
Um das 1.600 Seiten starke CETA-Abkommen systematisch auf Risiken für die Daseinsvorsorge zu untersuchen, erstellte Verena Madner, Professorin für Öffentliches Recht und Public Governance an der WU, eine Studie. Die Studie zeigt auf, dass in Bereichen wie etwa im gemeinnützigen Wohnbau oder bei der Abwasserentsorgung Lücken beim Schutz vor Liberalisierungsverpflichtungen bestehen. Zudem können ausländische Investoren durch CETA auf umfassende Sonderklagerechte gegenüber der öffentlichen Hand zugreifen.
Die Studie belegt deutlich, dass die Daseinsvorsorge erheblichen rechtlichen Risiken ausgesetzt wird, insbesondere durch Investitionsschutzbestimmungen. Durch die Investitionsschutzbestimmungen erhalten ausländische Investoren Sonderklagerechte. Staaten können verklagt werden, wenn diese Regulierungen für Umwelt, Wasser oder Gesundheit erlassen, welche die „legitimen Gewinnerwartungen“ von Investoren verletzen.
Insgesamt zeigt die Studie, dass CETA der Gestaltungsspielraum von Regierungen und Kommunen einschränkt wird und einen permanenten Liberalisierungsdruck erzeugt.
Schlechte Erfahrungen in Kanada
Maude Barlow kämpft an der Spitze von Kanadas größter Bürgerrechtsbewegung „Council of Canadians“ gegen Umweltzerstörung, Trinkwasserprivatisierung und Investorenklagen. Kanada sah sich im Rahmen des NAFTA-Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko bereits mehrfach mit Klagen ausländischer Investoren konfrontiert. Bekannt ist das Beispiel der millionenhohen Klage der US-Niederlassung eines kanadischen Rohstoffkonzerns gegen das Fracking-Moratorium der Provinz Québec. Aus diesen Erfahrungen heraus warnte die alternative Nobelpreisträgerin Barlow die Europäer davor nicht die gleichen Fehler zu machen.
Gemeinwohl hat Vorrang
„Auch die Wirtschaft braucht verlässliche und leistbare Infrastruktur in allen Bereichen. Öffentliche Daseinsvorsorge und demokratische Willensbildung haben daher Vorrang vor rein kommerziellen Interessen ausländischer Konzerne und Investorensonderrechte“, stellt Renate Brauner, Wiener Wirtschaftsstadträtin und Präsidentin des Verbandes der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) klar. Der VÖWG setzt sich dafür ein, dass die regulatorische Gestaltungsfreiheit der Kommunen zur flächendeckenden und bedarfsnahen Grundversorgung der Bürgerinnen und Bürger gewahrt bleibt. Für Martin Margulies, Dritter Landtagspräsident in Wien, sind CETA und TTIP eine „große Gefahr für Umweltstandards, ArbeiternehmerInnenrechte und Demokratie, die die angeblichen Vorteile bei Weiten überwiegen.“
Risiken für Kommunen
Der Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, Thomas Weninger, erwartet negative Folgen vor allem für die öffentliche Auftragsvergabe, die Energieversorgung und den Umweltschutz. Außerdem befürchtet er, dass die Freihandelsabkommen den sozialen Wohnbau in den Städten einschränken könnten. „Die Freihandelsabkommen CETA und TTIP hätten weitreichende Auswirkungen auf die kommunale Selbstbestimmung und erheblichen Einfluss auf die Handlungsfreiheit der Kommunen“, kritisiert Weninger.
Kluft zwischen EU-Handelspolitik und Anliegen der BürgerInnen
AK Präsident Rudi Kaske verwies in seiner Rede darauf, dass sich in den letzten Tagen und Wochen deutlich gezeigt hat, wie sehr sich die Kluft zwischen der Abgehobenheit der offiziellen EU-Handelspolitik und den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vertieft hat. Es sei mittlerweile offenkundig, dass in der österreichischen Bevölkerung ernsthafte Vorbehalte gegenüber den Freihandelsabkommen bestehen. „Ich möchte die Politik daran erinnern, dass sich über 70 Prozent der Bevölkerung ausdrücklich gegen das Freihandelsabkommen TTIP ausgesprochen haben, und CETA ist nichts anderes als TTIP durch die Hintertür.“ Eine klare Absage kam vom AK Präsidenten auch für die Sonderklagerechte für multinationale Konzerne. Außerdem, so Kaske, „müssen öffentliche Dienstleistungen lückenlos ausgenommen werden. Die Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand und hat in CETA, TTIP & Co nichts zu suchen.“
ArbeitnehmerInnenrechte absichern
Durch die Bestimmungen von CETA geraten Regelungen zum ArbeitnehmerInnen-, Umwelt- und Konsumentenschutz unter Druck. Ein Abbau dieser Regelungen und Schutzbestimmungen hat massive Auswirkungen auf die allgemeinen Arbeitsbedingungen und soziale Sicherungssysteme. Der Druck auf Löhne und Gehälter wird erhöht. Für Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums von younion _ Die Daseinsgewerkschaft, sind Ratifikation, Umsetzung und Anwendung der ILO-Kernarbeitsnormen die Voraussetzung für die Inkraftsetzung des Abkommens. Die ILO ist als Internationale Arbeitsorganisation eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Kattnig: “Das Nachhaltigkeitskapitel muss, wie alle anderen Kapitel des Abkommens auch, unter das allgemeine Streitbeilegungsverfahren fallen. Verstöße gegen diese internationalen Mindestrechte sind zu sanktionieren.”
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