RegierungsvertreterInnen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften sowie ExpertInnen aus Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben auf der Konferenz „Fundamentale soziale Grundrechte und die Entsendung von ArbeitnehmerInnen im Rahmen des EU-Binnenmarkts“ von 27. bis 28. Juni 2011 in Brüssel über die Vereinbarkeit von sozialen Grundrechten und freiem Wettbewerb beraten. Dabei kündigte EU-Sozialkommissar László Andor zwei Initiativen – zur verbesserten Umsetzung und Anwendung der Entsenderichtlinie (RL 96/91/EG) sowie für einen sozialeren Binnenmarkt – im Herbst 2011 an.
Schon der ehemalige EU-Binnenmarkt- und Wettbewerbskommissar Mario Monti konstatierte die derzeit geringe Popularität des Binnenmarktprojekts und forderte eine bessere Anerkennung sozialer Grundrechte. Konkret gilt es, die Vorgaben der Binnenmarktakte umzusetzen. Dafür ist die Entsenderichtlinie mit der EuGH-Judikatur zum Binnenmarkt und den jeweiligen nationalen Systemen für die Festlegung von arbeitsrechtlichen Normen abzustimmen. Des Weiteren bedürfen das Verhältnis zwischen sozialen Grundrechten und den vier Grundfreiheiten sowie das Streikrecht der Gewerkschaften (vgl. EuGH-Urteile Viking, Laval) der Klärung. Sämtliche Marktakteure sollen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (im Sinne von Artikel 49 und 56 AEUV) im Einklang mit sozialen Grundrechten wahrnehmen können.
Anhand der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen bei Entsendungen machte die Konferenz etliche Schwierigkeiten bei der Anwendung der Richtlinie (Schwarzarbeit, Sozialversicherungsformular E101 als einzige Datenquelle etc.) deutlich. Die TeilnehmerInnen diskutierten ferner die behördliche Zusammenarbeit sowie mögliche Regulierungsmaßnahmen und schlugen Verbesserungsmaßnahmen vor. Darunter 1) eine Durchsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie u.a. für eine bessere (grenzüberschreitende) Zusammenarbeit der Behörden, 2) Kontrolle und finanzielle Sanktionen, 3) die finanzielle und institutionelle Unterstützung der Sozialpartner und 4) die Etablierung einer gemeinsamen europäischen Plattform unter Einbeziehung aller Stakeholder.
Die Positionen der einzelnen Stakeholder waren sehr divergent. Eine soziale Fortschrittsklausel im Primärrecht, die Anerkennung des Vorrangs sozialer Grundrechte gegenüber den Grundfreiheiten und eine Überarbeitung der Richtlinie ließen sich als Hauptforderungen auf Seiten des europäischen Gewerkschaftsbunds (ETUC) identifzieren. EVP und BusinessEurope hingegen traten für die Beibehaltung des Status Quo ein.
Hintergrund: Die Entsenderichtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat, die im Rahmen der freien, grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen ArbeitnehmerInnen in einen anderen Mitgliedstaat entsenden. Betroffene Sektoren sind vor allem die Baubranche, Leiharbeitsunternehmen, Landwirtschaft und Transport.
Bild: ec.europa.eu/avservices